Die Gefahren graphischer Beweise
In einem früheren Beitrag hatte ich anhand eines graphischen Beweises gezeigt, wie man sich den Satz des Pythagoras herleiten kann. Leider enthält der Beweis einige Ungereimtheiten, die ich geflissentlich ignoriert hatte. Welche Bedeutung diese Ungereimtheiten haben können, sei an einem konkreten Beispiel demonstriert.
Überraschung
In dem täglich durchfliegenden Datenstrom war heute ein Prachtstück des missratenen Beweises.
Wie man klar erkennen kann, liegen zwei verschiedene Zerlegungen ein und desselben Dreiecks in identische Teile vor. Aber irgendwie hat sich da eine Lücke aufgetan!
Ganz offensichtlich handelt es sich um einen Scherz, der deutlich macht, wie genau man auf seine Voraussetzungen achten muss.
Also rekapitulieren wir mal:
- Handelt es sich um ein und dasselbe Dreieck?
- Sind die Teilstücke identisch?
- Haben die Stücken die Form, die sie vorgeben?
- Ist die Zerlegung universell, oder handelt es sich um einen Spezialfall?
Beginnen wir mir der zweiten Frage: Sind die Teilstücken identisch?
Das ist leicht zu prüfen: Man zählt die Kästchen, die jedes Teilstück in jede Richtung einnimmt und schaut, ob alle Linien wirklich gerade sind. Das ist in beiden Bildern auf die gleiche Art der Fall.
Die zweite Frage ist also mit Ja zu beantworten.
Nun zu ersten Frage. Auch hier ist die Überprüfung genauso leicht: Man zählt wieder die Kästchen 13 breit und 5 hoch. Die Linien sind auch alle gerade, oder?
So ganz klar ist das nicht, denn das große Dreieck wird ja zusammen gestückelt. Es wäre also durchaus möglich, einer Täuschung zu unterliegen.
Also legen wir das rote und das türkisfarbene Dreieck mal direkt aufeinander und zeichnen die Linien dünn.
Huch?! Da ist ja eine kleine Abweichung!
Wenn man die Dreiecke mal genau aufeinander malt, gibt es folgende Form:
So richtig dreieckig sieht das nicht aus!
Damit ist die Frage drei mit einem eindeutigen Nein zu beantworten: Die Form ist nicht das, was sie zu sein vorgibt. Die dick gezeichneten Linien sind der Quell der Täuschung.
Und somit ist auch die fehlende Fläche gefunden: Der schmale, aber lange Bereich hat genau den Flächeninhalt des fehlenden Kästchens.
Hausaufgabe
Damit ist der Fall aber noch nicht beendet. Denn es bleibt Frage vier: Handelt es sich um einen Spezialfall?
Aber wo könnte denn der Spezialfall vorliegen? In der Zerlegung des Rechtecks.
Wer möchte, kann mal selbst knobeln, wann man das Rechteck nach der Vertauschung der Dreiecke auf die angegebene Weise zerlegen kann. Ist diese Zerlegung nämlich generell möglich, so müsste sie bei Verwendung eines richtigen Dreiecks keine Lücke lassen.
Ich freue mich über Eure Erfolgsmeldungen in den Kommentaren.
Kurzerklärung: Die beiden kleinen Dreiecke (rot + dunkelgrün) haben unterschiedliche Anstiegswinkel und ergeben somit keine Gerade mehr.
Sehr schön wird das hier mit ein paar mehr Beispielen erklärt: http://www.brefeld.homepage.t-online.de/dreieck.html
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