Wie entstehen Netzsperren aufgrund von Sanktionen
Diese Woche wurde am Donnerstag eine Liste von zu sperrenden URLs durch die Breko an die deutschen ISPs verteilt. Nach Rücksprache mit der Breko und der BNetzA, sowie nach Kontaktaufnahme mit einigen der zu sperrenden Betreibern (u.a. ein Streamingdienst in den USA), stehen Antworten der BNetzA aus, wie mit der Haftungsfrage umgegangen werden soll. Letzte Woche hatte ich generell das Problem schon mit dem Zuständigen der EU-Kommission besprochen.
Aktueller Stand:
- Es gibt einen Entwurf der Änderungen der Sanktionslisten seitens des Rates der Europäischen Union, dieser geht über die Mitgliedsstaaten u.a. an die BNetzA
- Die politische Verantwortlichkeit in Deutschland liegt bei der Kultusstaatssekretärin Claudia Roth
- Einige Mitarbeiter der BNetzA erstellen neben ihrer eigentlichen Arbeit Vorlagen für die Sperrlisten
- Die Mitarbeiter kontaktieren die betreffenden Betreiber nicht vorab, um eine Löschung zu erreichen
- Die Abteilung Netzneutralität der BNetzA prüft, ob die ausgewählten Ziele evtl. zu Overblocking führen
- Die so bereinigte Liste wird an die Verbände (u.a. Breko) verteilt, die diese dann an die Mitglieder verteilen
- Mit Beschluss der EU wir der Ratsvorschlag entweder angenommen, geändert oder abgelehnt
- Ab dem Zeitpunkt des Beschlusses gilt die Umsetzungsverpflichtung bei den ISPs
Lt. BNetzA gibt es für den ISP dabei zu beachten:
- Eine zu frühe Sperrung (vor dem Beschluss) ist illegal. Kunden können auf Schadenersatz bestehen (oder einklagen)
- Eine falsche Sperrung (wenn sich die Beschlusslage gegenüber der Vorlage ändert) ist ggfls. In Teilen illegal und erlaubt Schadenersatzansprüche
- Eine nicht durchgeführte Sperrung ist illegal und wird ggfls. von der Staatsanwaltschaft verfolgt
- Ein Overblocking (also eine Sperrung, die mehr blockt als die von der Sanktion belegte Organisation) ist illegal und wird von der BNetzA ordnungsrechtlich verfolgt. Betroffenen Kunden steht Schadenersatz zu.
- Die Listen der BNetzA enthalten teilweise URLs, dann ist nur der spezifische Webdienst zu sperren, eine DNS Sperre kann Overblocking sein
- Für die von der BNetzA herausgegebenen Listet sichert die BNetzA zu, kein Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen den ISP einzuleiten, wenn es zu Overblocking kommt.
In dem konkreten Fall diese Woche sind mehrere strittige Seiten mit Deeplinks (also Teile des Angebots) aufgeführt, die selbst nicht russischen Behörden oder Organisationen zuzuordnen sind. Eine Rückfrage bei mindestens einem der Betreiber zeigte, dass dieser vorab nicht informiert wurde und den betreffenden Kanal (eine Webseite mit einem Link zu einem russischen Angebot, also nicht mal selbst gehostet) gelöscht hat. Diese Information wurde an die BNetzA und die Breko weitergegeben mit der Bitte um eine Aussetzung oder Korrektur der Liste. Bisher gibt es keine Rückmeldungen. Ebenso liegt der Beschluss noch nicht vor: https://eur-lex.europa.eu/oj/direct-access.html?locale=de.
Kurz und gut: Bisher ist eine Umsetzung nur möglich, wenn die zu sperrenden Domains einzeln durch den Geschäftsführer des betreffenden ISP angewiesen wurde. Dieser trägt dann die Verantwortung für Schadenersatzforderungen der Kunden, Nichtdurchführung der Sanktionen und Overblocking.
Reaktion auf Löschmitteilung
Nachdem die BNetzA am Freitag auf die erfolgreiche Löschung u.a. bei coolstreaming hingewiesen wurde, verbunden mit der Bitte um Aussetzung oder Korrektur der Liste, kam am Dienstag eine Antwort:
- Klarstellung, dass die Domainsperre auch bei vollen URLs nicht als Verstoß gegen die Netzneutralität bewertet wird
- Mit Verweis auf den Beschluss vom Freitag werden die Listen der URLs nochmal wiederholt, jetzt aber ohne Deeplink, so dass eine Überprüfung der Sanktionsfähigkeit nicht mehr erfolgen kann
- Klarstellung, dass Overblocking durch die Sanktionen in Kauf genommen wird: So lange sich hinter den betroffenen Domains Inhalte befinden, die von der EU-Sanktionsverordnung gedeckt sind, muss die gesamte Domain gesperrt werden.
- Klarstellung, dass Löschen nicht in der Sanktionsverordnung aufgeführt ist, sondern ausschließlich das Unterbinden des Transports der Inhalte
- Klarstellung, dass gelöschte Inhalte nicht geblockt werden dürfen
- Hinweis darauf, dass die BNetzA nur mit den Branchenverbänden kommuniziert, nicht aber mit den von den Sperren betroffenen Unternehmen
- Klarstellung, dass die BNetzA nicht für die Durchführung der Sanktionen zuständig ist, sondern dies ausschließlich in der Hand der verpflichteten Unternehmen (ISPs) liegt
- Klarstellung, dass die Listen der BNetzA lediglich besagen, dass Sperrungen, die diese Domains umfassen, nicht als Verstoß gegen die Netzneutralität gewertet werden
- Dies gilt natürlich nicht für Domains, die keine sanktionierten Inhalte hosten. Der ISP hat das selbstständig zu prüfen.
Trotz Hinweis auf Löschung der Inhalte sind die betroffenen Domains weiterhin in der Liste aufgeführt. Diesmal aber ohne Kontrollmöglichkeit für den betroffenen Internetprovider. Verbunden mit dem Hinweis, dass die Sperrung von Domains, die keine sanktionierten Inhalte mehr enthalten, wieder ein Verstoß gegen die Netzneutralität darstellt, selbst wenn diese in der Liste der BNetzA enthalten war, ist das ein starkes Stück: Es wird bewusst ein Haftungsprivileg suggeriert, von dem die suggerierende Stelle bereits weiß, dass dieses Privileg nicht zutrifft.
https://www.brekoverband.de/
Das ist doch ein Verein, was hat der damit rechtlich zu tun?
Da stellt sich gleich die Frage: Darf die EU nach Grundgesetz überhaupt solche Listen erstellen und deren Sperrung unter Strafe verlangen?
Und die Ansage einer Behörde, Overblocking nicht verfolgen zu wollen, klingt für mich stark nach staatlicher Willkür. Also analog zu Strafvereitelung im Amt, keine Ahnung, wie das bei Ordnungswidrigkeiten und Verwaltungshandlungen heißt.
Daß DNS-Sperren auch an sich technischer Unsinn sind, nicht geeignet usw., das wissen wir und deine Leser vermutlich sowieso. Löschen vom Webmaster bzw. Hoster zu verlangen bringt aber auch nur etwas bei international geächteten Inhalten. CSAM (Child Sexual Abuse Material) ist in jedem Land strafbar und wird von jedem Hoster freiwillig gelöscht. Bei politischen Inhalten ist das nicht so.
Dies ist wichtig, da nach Grundgesetz Kultur und Medien Ländersache sind, und somit eine Kulturministerin auf Bundesebene verfassungswidrig wäre. Daß sie in diesem Amt irgendwelche Zensurlisten macht, macht das ganze Zensurbestreben noch viel schlimmer.
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