Demokratie im Kleinen

Gemäß der Ergebnisse der Bundestagswahl 2013 sind 6.855.044 gültige Stimmen gar nicht gewertet worden. Dies ist eine Folge der 5%-Hürde. Die immer wiederkehrende Forderung lautet die Hürde zu senken. Aber vielleicht kann man sie auch einfach anders interpretieren.

Die 5%-Hürde soll sicherstellen, daß das Parlament nicht völlig zersplittert wird. Mit der Zersplitterung der Parteienlandschaft gelangen aber immer größere Teile der Wählerstimmen aus dem verwert Bereich. Der Effekt ist unabhängig von der genauen Höhe der Hürde.

Eine Zersplitterung des Parlaments in viele kleine Fraktionen verhindert allerdings schon das Mehrheitswahlrecht der Erststimmen. Praktisch die Hälfte der Sitze gehen in jedem Fall an die größten Parteien.

Das Mehrheitswahlrecht für die Erststimmen gestattet und begünstigt aber auch den Einzug von Einzelpersonen ins Parlament. Damit gibt es also weniger Probleme als mit ganzen Fraktionen.

Sonstige

Eine mögliche Idee besteht darin, alle Parteien, die die 5%-Hürde nicht geschafft haben, zusammen zu fassen und diesem Rest geschlossen Sitze zuzuteilen?

Fallen alle Parteien zusammen unter 5%, so gibt es gar nichts. Kommen sie drüber, werden die Sitze genauso errechnet, als wäre die Stimmen für eine Partei "Sonstige" abgegeben worden.

Anschließend werden diese Sitze so verteilt, wie es den Stimmgewichten der kleinen Parteien innerhalb dieser Parteiengruppierung entspricht.

Die Vertreter dieser Parteien werden dann keine Fraktionen bilden, sondern als Einzelpersonen einziehen. Damit haben weniger Rechte. Sozusagen als Strafe für das schlechte Abschneiden bei den Wählern. Wie sie sich verhalten, mit wem sie abstimmen, wird entscheidend für ihre jeweilige politische Zukunft sein.

Gedankenspiel

Wie sähe der jetzige Bundestag aus, wenn es diese Reglung gäbe?

Zuersteinmal brauchen wir das amtliche Wahlergebnis.

43.702.474 gültige Stimmen verteilen sich auf die folgenden "Parteien".

Partei Stimmen Prozent Sitze
CDU 14.913.921 34.1 215
SPD 11.247.283 25.7 162
DIE LINKE 3.752.577 8.6 54
GRÜNE 3.690.314 8.4 53
CSU 3.243.335 7.4 47
Sonstige 6.855.044 15.7 99

Die Gesamtzahl der Sitze im Bundestag wurde von dem aktuellen Endergebnis übernommen. Unter Berücksichtigung von Überhang- und Ausgleichsmandaten, sowie der Verteilung nach Bundesländern müßte der Bundestag weiter aufgebläht werden. Dies ist hier nicht vorgenommen worden. Es geht ja nur ums Prinzip.

Die 99 Sitze der "Sonstigen" verteilen sich folgendermaßen:

Partei Stimmen Prozent Sitze
FDP 2.082.305 30.38 30
PIRATEN 958.507 13.99 14
NPD 560.660 8.18 8
Tierschutzpartei 140.251 2.05 2
REP 91.660 1.34 1
ÖDP 127.085 1.86 2
FAMILIE 7.451 0.11 0
Bündnis 21/RRP 8.851 0.13 0
RENTNER 25.190 0.37 1
BP 57.285 0.84 1
PBC 18.529 0.28 0
BüSo 13.131 0.20 0
DIE VIOLETTEN 8.248 0.13 0
MLPD 25.336 0.37 1
Volksabstimmung 28.667 0.42 1
PSG 4.840 0.08 0
AfD 2.052.372 29.94 30
BIG 17.965 0.27 0
pro Deutschland 74.311 1.09 1
DIE RECHTE 2.288 0.04 0
DIE FRAUEN 12.522 0.19 0
FREIE WÄHLER 422.857 6.17 6
Nichtwähler 11.349 0.17 0
PARTEI DER VERNUNFT 25.027 0.37 0
Die PARTEI 78.357 1.15 1

Als Berechnungsgrundlage der Sitzverteilung wurde der aktuelle Prozentsatz mit der Anzahl der verfügbaren Sitze multipliziert. Anschließend wurde abgerundet. Dabei fallen natürlich Sitze weg.

Um diese zu kompensieren bekommt jede Partei einen festen Summanden vor der Rundung zugeschlagen. Dieser wird solange erhöht, bis die zu vergebenen Sitze gefüllt sind. In diesem Fall bekommt jede Partei einen Rundungszuschuß von 0.637 Sitzen.

Dieses Verfahren begünstigt die ganz kleinen Parteien überproportional, denn diese erhalten dann doch noch überhaupt einen Sitz. Allerdings ist diese Begünstigung von mir auch gewollt. Ich halte es für eine gute Idee, bei der Stärkung der demokratischen Rechte der kleinen Parteien die Kleinsten besonders zu stärken.

Bundestag 2013 mit kleinen Parteien

Bundestag 2013 mit kleinen Parteien

So sähe dann also der Bundestag nach diesem Vorschlag aus. Auffällig ist, daß es keine klassische Koalition mehr gibt. Schwarz-Gelb wie auch Rot-(Rot-)Grün hätten keine eigene Mehrheit. Man müßte mit kleineren Parteien koalieren.

Es ist eine offene Frage, ob diese Wahl besonders pathologisch hinsichtlich einer Koalitionsbildung ist. Denn normalerweise kommen die kleinen Parteien nicht auf solche großen Zahlen: Sie schaffen es zur Fraktion oder bleiben deutlich unter der einflußreichen Größe.

Fazit

In meinen Augen ist dieser Vorschlag eine Stärkung der parlamentarischen Demokratie. Er tritt dieses Jahr besonders kräftig hervor, zuvor lagen die "Sonstigen" zusammen immer im mittleren einstelligen Bereich. Das hätte ein paar versprengte Einzelkämpfer in den Bundestag gebracht. Diesmal sind halt die zwei Parteien AfD und FDP so knapp gescheitert. Und die Piraten haben ebenfalls ein respektables Ergebnis eingefahren, was sich hier auswirkt.

Allerdings ist diese Verfahren ungeeignet. Es muß und kann verbessert werden.

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Matti 05/10/2013 6:24 pm
Keine Ahnung wie ich das falsch lesen konnte, aber ich hatte "5 Abgeordnete" und nicht (wie es korrekt wäre) "5 Prozent" als Vorraussetzung für die Fraktionsstärke aufgeschnappt.

Vielleicht können die Betreiber von wahlrecht.de mal exakte Daten durchrechnen?
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Rainer S. 04/10/2013 4:46 pm
Pingbacks gehen hier anscheinend nicht, deshalb der manuelle: http://rainer.sokoll.com/?p=472
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Lutz Donnerhacke 04/10/2013 4:20 pm
Nein, die Kleinparteien haben keine Fraktionsstärke, sondern ziehen als Einzelabgeordnete ein. Sie sind somit auch nicht berechtigt, entsprechende Maßnahmen zu erzwingen.

Die Regierungsbildung ist allerdings ein Kraftakt, wenn die Mehrheiten so klein sind, wie dieses Mal. In den anderen Jahren hatten die Koalitionen mehr Prozente und hätten es auch da zu den entsprechenden Regierungen geschafft. Die 15% "Sonstige" sind halt heftig viel.

Ja, die Erststimmen belegen praktisch die Hälfte der Mandate mit den "etablierten" Großparteien. Ja mit Ausgleichs- und Überhangmandaten bläht sich der Bundestag auf. Kurz überschlagen habe ich ja nur 262 Abgeordnete für die CDU/CSU zugewiesen. Das entspricht knapp dem, was sie bundesweit an Wahlkreisen haben. Allerdings erfolgt der Ausgleich auf Landesebene. Das übersehe ich nicht, wird aber trotzdem grob hinkommen.
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Matti 04/10/2013 4:09 pm
Bei dem Gedanken an eine NPD in Fraktionsstärke im deutschen Bundestag dreht sich mir der Magen um.

Trotzdem gefällt mir der Gedanke, weil er das Wahlergebnis genauer abbildet. Aber was heißt das für die Zeit nach der Wahl?

IMHO heißt das, dass es dann mindestens 4 Parteien für eine Koalition braucht (nach einem groben Überschlag hätten CDU/CSU/FDP auch 2009 keine Mehrheit in so einem Bundestag). Oder hälst du eine Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten wie in NRW für erstrebenswert?

Ich fürchte, das macht solche Bundestage anfälliger für Profilierungsversuche der Kleinstparteien - wie das ja in Sachsen bereits im Landtag zu sehen war. Und wenn es zukünftig noch 4 bis 5 Parteien gibt, die aktuelle Stunden und Untersuchungsausschüsse beantragen können oder in Enquete-Kommissionen mitreden wollen, sorge ich mich um die Arbeitsfähigkeit der Gremien. Ein Kraftakt wäre es allemal.

Aber mich würde vor allem interessieren, ob es bei diesem Modell überhaupt bei dieser (Zweit-)Stimmenvergabe bleibt. Wenn meine Stimme nicht mehr "verloren" geht, würde ich wahrscheinlich eher kleinere Parteien wählen und nicht mehr "das kleinere Übel". Weil die aber nicht die Personaldecke in der Fläche haben, bleiben die Erststimmen aber wohl bei den etablierten Parteien (deren Abgeordnete dann als mehrheitlich direkt Gewählte eine noch größere Unabhängigkeit in der Fraktion haben). Ich nehme mal nicht in Anspruch die Wahlarithmetik der Ausgleichsmandate genau zu durchblicken, aber kann es sein, dass wir dann noch viel größere Bundestage sehen werden?

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