Nachts in Neuland

Ein Kunde beschwert sich über eine kaputte Firewall. Die würde abstürzen und müsse immer wieder rebootet werden. Als Verkäufer sollen wir das Gerät tauschen. Aus dieser eigentlich trivialen Aufgabe wurde eine beinahe unendliche Geschichte.

Fehlerbild

Seit einigen Monaten kann der Kunde beinahe jeden Morgen nicht arbeiten. Manchmal ist es Dienstag und Donnerstag. Man manchmal Montag, Mittwoch und Freitag. Manchmal auch ganz anders. Reboot der Firewall und es geht alles wieder. Logischerweise vermutet er einen Defekt an diesem Gerät und möchte einen Hardware-Tausch.

Andererseits macht der Hersteller Streß, wenn funktionierende Technik (unnötig) getauscht werden soll. Ich brauche also zumindest den Ansatz einer Fehlerursache.

Zunächst stellt sich heraus, daß die Reboots zu regelmäßig sind, um auf einen Hardwareschaden hinzudeuten. Jeden Tag um die gleiche Uhrzeit rebootet das Gerät. Auf Rückfrage sagt der Kunde, daß er die Faxen dicke hatte und per Zeitschaltuhr den Reset erzwingt.

Das Logging liegt nur auf dem Gerät selbst vor, so daß keine Aussagen über die Zeit vor dem Reboot getätigt werden können. Der Kunde aktiviert wieder seinen Syslog-Server, der das anfangs noch entgegen genommen hatte. Mangels Nutzeffekt hat man den Server vor einiger Zeit schon abgeschaltet.

Mit dem Syslog ergeben sich nun neue Einsichten:

  • Irgendwann zwischen drei und fünf Uhr fällt das Interface zum Internet-Modem aus und kommt kurz danach wieder.
  • Es taucht ein Gerät im Syslog auf, daß auch im diese Zeit herum in den Stromsparmodus geht und daraus wieder erwacht. Das Gerät hat leistungsstarke Motoren.
  • Die Firewall macht DHCP in Richtung Internet und erneuert alle 5h ihre 10h-Lease.
  • Die Reboots werden inzwischen manuell über die GUI der Firewall zwischen fünf und sechs Uhr ausgelöst.
  • Vor den Reboots meldet die Firewall, daß sie auf Pakete ins Internet keine Antwort bekommt.

Ursachenforschung

Der auffälligste Punkt ist, daß die Firewall nicht völlig kaputt sein kann, wenn man sie über die GUI rebootet.

Die nächste Korrelation ist das Gerät mit den Motoren. Wenn es an oder aus geht, könnte es Störungen im Stromnetz verursachen und so einen Fehler triggern. Auch könnten hochfrequente Störungen den Internetzugang unterbrechen. Schließlich gibt es da ja einen Interface Reset. Der Kunde sagt, das Gerät sei erst vor einigen Monaten angeschafft worden. Das korreliert auffällig mit dem Zeitpunkt ab dem Störungen auftraten. Der Kunde schließt diese Ursache aber kategorisch aus.

Also bleibt die Frage nach dem Internetzugang. Ein Anruf beim Provider (einem kleineren) bringt neue Erkenntnisse:

  • Vor einigen Monaten ist aufgefallen, daß die Anschlußtechnik beim Kunden nicht regelmäßig rebootet wird.
  • Man hat die Geräte in Richtung des Kunden in die Liste der automatischen Reboot aufgenommen.
  • Die Reboots werden sequentiell ausgeführt, eine Sortierung wird nicht erzwungen. Man möchte es zufällig halten.

Wahrscheinlich passiert folgendes:

  • Der Provider rebootet Teile seines Netzes.
  • Die Zuleitungstechnik vergißt dabei die ausgeteilte DHCP Lease, leitet also keine Daten mehr weiter.
  • Im Schnitt erneuert ein Endgerät 2,5h nach dem Reboot die Lease und es geht wieder.
  • Der Kunde beginnt regelmäßig um 5 Uhr mit Arbeiten.
  • Er bemerkt die fehlende Konnektivität und rebootet die Firewall.
  • Die Firewall holt sich direkt beim Booten per DHCP eine neue Adresse und alles geht wieder.

Man kann jetzt ausrechnen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, daß der Kunde um 5 Uhr noch keine Konnektivität hat.

Man kann auch die Firewall einmal so rebooten, daß die Lease immer zwischen 4 und 5 Uhr erneuert wird. Dank der 10h Lease ist dieser Rhythmus ja ziemlich stabil, er verschiebt sich täglich um 4h nach vorn. Das erklärt, warum der Kunde den Effekt nicht jeden Tag hat, sondern im Abstand von zwei bis drei Tagen beobachtet.

Man kann aber auch den Provider bitten, nicht zu rebooten.

Fazit

Internetprovider benutzen die Zeit zwischen Mitternacht und sechs Uhr morgens für beliebige, unangekündigte Arbeiten. In dieser Zeit gibt es keinerlei Funktionsgarantie für alles, was irgendwas mit Telekommunikation zu tun hat. Die gesamte IT-Branche benutzt die Nacht für Wartung, Umbauten und Updates.

Die Fachbegriffe der Informatik kennen es so:

337: Uptime Verfügbar an Werktagen zwischen 9:00 und 12:00, sowie 14:00 bis 17:00. (Microsoft SQL Server 2000 Administrator's Companion)

Denk ich an #Neuland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht.

nach Heinrich Heine
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Jens Hofer 30/09/2022 10:50 pm
JEtzt mal ernsthaft. Was ist denn das für ein Provider, der jede Nacht sein Equipment rebootet. Und ihr bzw. der Kunde akzeptiert das auch noch...
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Berliner0815 14/09/2018 12:25 pm
Und? Hast Du jetzt die kaputte Firewall getauscht?

SCNR

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